Ich möchte Mauern zerschlagen
Demolieren, einreißen, zerstören
“Das brave Mädchen” wurde ich genannt
Unproblematisch, höflich, ruhig
Reißende Stürme ziehen auf
Aber ich darf nicht! Ich darf nicht ausbrechen!
In meiner kalten Hand umklammert
Mein eisernes, etwas havariertes Ritterschwert
Endlich in meinem kleinen Appart angekommen
Es ist 23:42 Uhr
Schnell sich installieren, dann kann ich zum Ungesagten tendieren
23:44 Uhr
Alle Fenster und Vorhänge zu?
23:45 Uhr
Ich spüre den Boden vibrieren
Nun kommt die Flut
Und reißt mich mit
Ich muss mich übergeben
Über der Klobrille überschwemmen Tränen meine Augenlider
Gedanken feuern durch meine Synapsen
Schämst du dich nicht, im Elend hier zu sitzen?
Schämst du dich nicht, unter dem Wort Staates einzuknicken? Du Versagerin!
Du schwitzt ja. Schämst du dich denn nicht?
Ach wie süß… Jetzt hat die kleine Maus auch noch Angst
Angst, dass sie es nicht mehr lang so aushalten wird
Angst, dass sie versagen wird, morgen bei ihrem Exposé
Angst, in 24 Stunden nicht mehr hier zu stehen
Sie muss nur einen kleinen Moment unkonzentriert sein und ihre Maske fällt
Und dann war’s das
Angst, dass es nach dem Tod kein Morgen gibt
« Seit still! Hört einfach auf!
Ich kann das nicht mehr hören!
Es reicht schon, jeden verdammten Tag Ungerechtigkeit zu sehen
Die Patentochter meines Bruders haben sie in der Schule abgeholt. In der Schule!
Sky existiert der Regierung nach nicht mal! Ich sehe sie atmen und doch existiert sie nicht
Und wir dürfen nur eine Viertelstunde pro Tag was fühlen
Wir müssen funktionieren, ohne Widerworte, ohne Identität »
So flagrant die Absurdität auch sein mag
Mein letztes verspürtes Gefühl ist fast euphorisierende Freude
(zumindest glaube ich das)
In einer Minute ist Mitternacht und somit ein neuer Tag
Die Flut wird dann wieder zu stillem Wasser
Ich muss nicht mehr fühlen, ich bin endlich in Sicherheit
Die Erleichterung strömt mit der Ampulle Substanz in mich hinein
Jedes Kind hat Angst vor dem Monster im Schrank
Meine Monster wüten gefährlich in meiner eigenen Brust
So gewaltig, dass es mir die Luft abschnürt
0 Uhr, entfaltet wird die Wirkung
Ich spüre nichts, verweile in scheinbarer Sicherheit
Das Monster narkotisiert
Von Erschöpfung beherrscht falle ich in mein Bett
Eine halbe Sekunde später schrecke ich aus dem Schlaf auf
Ausatmen, einatmen, ausatmen, einatmen
Und noch ein Tag. Aufstehen, anziehen, arbeiten gehen
So wie die weiße Villa mit Park es verlangt
Mein Schwert halte ich fest in meiner Hand
Auf dem Weg zum Büro gehe ich gedanklich meinen Text durch
Meine Damen und Herren, heute möchte ich Ihnen den Businessplan
Ohrenbetäubendes Krachen, Schreien, Schmerzen
Der junge Mann ist kaum älter als ich
Seine Augen geschlossen, das Leben scheint aus ihm gewichen
Sein gestreiftes T-Shirt ist nahezu von Blut durchtränkt
Ich muss weiter, in 20 Minuten ist das Meeting
Vergiss was du gesehen hast
Auf der Laterne vor mir landet ein Marienkäfer
Mein Bruder hat die als Kind immer gemocht
« Meine Damen und Herren, heute möchte ich Ihnen den Busine… «
Ein Handy klingelt, es ist “Mad World”. Das ist mein Handy. Warum gerade jetzt?
Eine unbekannte Nummer wird angezeigt
Meine Bitte um Entschuldigung kommt mit einem Zögern
“Spreche ich mit Miss James?”
“Ja, am Apparat.”
“Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Bruder Micah in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde.”
“Okay, in welchem Krankenhaus ist er? Ich komme sofort nach der Arbeit.”
“Miss, Ihr Bruder hat den Unfall nicht überlebt.”
Mein Schwert gleitet mir aus der Hand
Als ich klein war, war ich mal im Kletterpark
Ich hatte unfassbare Angst, denn ich vertraute der Sicherung nicht
Ich hatte Angst, dass ein Seil reißt und ich in den Abgrund stürze
Natürlich ist nichts passiert
Jetzt ist das Gefühl wieder zurück
Meine Sicherung ist gerissen und ich falle mit Höchstgeschwindigkeit
Vor meinem inneren Auge sehe ich mich als 3-Jährige
Draußen ist es dunkel, das Kaminfeuer lodert
Unter einer karierten Decke sitzt meine Mama
Mit ihren schulterlangen, blonden Zöpfen
Ich klettere auf ihren Schoß, sie nimmt mich in ihren Arm
Mir kann hier nichts passieren
Aus dem Wohnzimmer schält sich die graue Farbe meines Büroflurs
Und ich fange an aus vollem Halse zu lachen
Zu lachen, als wäre es der letzte Tag auf Erden
Ehe ich realisieren kann, was gerade passiert ist
Sitze ich mit Handschellen gefesselt an einen Stuhl
Ich bin durch den Sturz in den Abgrund nicht draufgegangen, ja wenigstens etwas
Noch nicht
Ich sitze in einem dunklen Raum, mit rotem Licht aber ohne Tür
Eine freundliche, aber kalte Frauenstimme sagt
“Miss Kathy Eleonora James, Sie haben jetzt 10 Sekunden Zeit um zu erklären
Aus welchem Grund Sie gegen die Verfassung verstoßen und außerhalb der erlaubten Zeit ihren Funktionsmodus verlassen haben.”
Die aufkommende Panik in mir lässt mein Herz rasen
“Es tut mir leid, ich habe alles versucht, aber… Micah…
Ich konnte das nicht mehr. Ich liebe…habe ihn geliebt.
Er ist nicht mehr da. Man braucht seine Gefühle. Hört ihr?
Mein Herz muss atmen können!”
Zwei, eins, null.
“Ist gut Kathy, Sie können jetzt die Brille absetzen
Kathy? Kathy, es ist vorbei.”
Ich greife nach etwas Größerem in der Gegend meiner Augen
Ich ziehe es nach oben
Grelles Sonnenlicht verblendet mich, erst kann ich meine Augen kaum aufhalten
Was war das?
“Das war eine Welt, Kathy, in der es verboten ist, Gefühle zu zeigen.
Ähnlich wie deine, oder?”
Schweigen
“Kathy, auf der ganzen Welt tobt gerade der totale Wahnsinn
Ich möchte nicht, dass du in den Abgrund fällst.
Und die Liebe deiner Mutter wird dich immer begleiten”
« Zeigen Sie mir bitte, wie ich mein Schwert ablegen kann. »